Ich glaube wir alle, wenigstens ein bisschen. Auch wenn wir es uns nicht eingestehen. Aber jedes Kind wächst mit den Geschichten vom bösen Wolf auf, sei es in Rotkäppchen oder in „Der Wolf und die sieben Geißlein“. Und ich glaube, dass die Angst vorm Wolf in uns allen tief verwurzelt ist. Sind Wölfe wirklich so böse? Nein, Wölfe sind sie nicht. Wir benutzen sie bloß als Projektionsfläche für unsere Angst vor dem Dunklen in uns selbst und in anderen, aber auch für unsere Sehnsucht nach Wildheit und Freiheit. Ob wir nicht alle ein bisschen „böser Wolf“ sind? Sicher, deswegen fasziniert uns diese Figur auch so. Der „böse Wolf“ ist meiner Ansicht nach ein Chiffre für das Böse im Menschen. Ich selbst habe keine Angst vorm „bösen Wolf“. Ich glaube, wenn ich einem Wolf im Wald begegnete, wäre ich sicher ziemlich nervös, denn wir sind solche Begegnungen einfach nicht gewöhnt. Mehr Angst hätte ich aber eher davor, dem „bösen Wolf“ in mir oder anderen zu begegnen, und nicht zähmen zu können.
Ich glaube, dass die Angst vorm Wolf in uns allen tief verwurzelt ist.
Ulrike Serowy
In meinem Buch „Wölfe vor der Stadt“, erschienen in der Edition Outbird, spielen Wölfe auch diese Doppelrolle: Zum einen geht es um echte Wölfe, die zu uns zurückkehren und mit denen wir umgehen müssen; zum anderen geht es um den Wolf in uns, der häufig auch in der Gestalt des Werwolfs auftritt. Von der Geschichte selbst will ich nicht zu viel verraten, aber vielleicht könnte ich soviel sagen: Es ist eine zarte Liebesgeschichte mit Zähnen und Klauen und Wolfsfell. Helena und Johannes, die beiden Hauptfiguren, ringen beide mit ihren Schatten und hoffen auf Erlösung, jeder auf seine Art … Die Inspiration zum Buch hat sich aus vielen Quellen gespeist: Zum einen natürlich aus der Rückkehr der Wölfe in unseren Breiten. Dann waren Werwolfmythen wichtig, besonders die Geschichte von Peter Stump, dem bekanntesten „Werwolf“ der frühen Neuzeit. Hier ging es mir auch darum, einen Gegenentwurf zu Büchern wie „Twilight“ zu schreiben, in denen Werwölfe und andere Nachtwesen im Grunde als „bessere Menschen“ dargestellt werden, die ewig leben, über ein paar Superkräfte verfügen und sonst ganz gut beisammen sind. Stattdessen wollte ich eine Figur schaffen, die eigentlich ein ganz normaler Mensch ist und schwer an ihrem Schicksal zu tragen hat. Ich hoffe, das ist mir gelungen.
Ulrike Serowy, Jahrgang 1983, hat englische, deutsche und skandinavische Sprachen und Literatur sowie Geschichte und Archäologie studiert. Sie schreibt Prosa, Lyrik und Essays. Bei der Edition Outbird in Gera ist ihr erster Roman „Wölfe vor der Stadt“ erschienen.